
1. Historische Entwicklung und persönliche Perspektive
Die Fehmarn-Beltquerung ist eines der umstrittensten Infrastrukturprojekte Europas. Während die Politik das Projekt als Fortschritt für den europäischen Verkehr und die wirtschaftliche Vernetzung feiert, betrachten viele Anwohner es als rückständiges Relikt einer veralteten Wachstumslogik. Besonders die CO₂-Bilanz des Tunnelbaus sorgt für Diskussionen, da sie in einer Zeit der Klimakrise kaum noch zu rechtfertigen ist.
Europäische Vision oder lokales Desaster?
Die Idee zur Fehmarn-Beltquerung reicht bis in die 1990er Jahre zurück, als die EU begann, ein zusammenhängendes europäisches Verkehrsnetz zu planen. Die Verbindung zwischen Deutschland und Dänemark sollte eine schnellere Transportmöglichkeit für Güter und Passagiere schaffen. Ursprünglich stand der wirtschaftliche Nutzen im Fokus: verkürzte Fahrzeiten, eine stabilere Handelsroute und die symbolische Bedeutung einer engen europäischen Kooperation.
Doch während die ursprüngliche Begeisterung über das Großprojekt in den politischen Kreisen anhielt, wuchs der Widerstand bei den Anwohnern. Besonders auf Fehmarn, wo die Eingriffe in die Natur und die Lebensqualität der Bevölkerung enorm sind, formierte sich eine breite Protestbewegung.
2. Planungschaos und Kostenexplosion
Von der Vision zur finanziellen Belastung
Ursprünglich sollten die Baukosten der Fehmarn-Beltquerung bei etwa 7,4 Milliarden Euro liegen. Davon entfielen rund 4 Milliarden Euro auf den eigentlichen Tunnelbau, während weitere 3,4 Milliarden für die Schienen- und Straßenanbindungen veranschlagt wurden. Die Bauzeit war mit acht Jahren kalkuliert, und die Eröffnung war für 2021 geplant.
Heute, nach mehrfachen Verzögerungen und Nachkalkulationen, liegen die veranschlagten Kosten bereits bei über 10 Milliarden Euro – und die Fertigstellung wurde auf frühestens 2029 verschoben. Besonders die unerwarteten Herausforderungen im Bereich Umweltverträglichkeitsprüfungen, gerichtliche Einsprüche und steigende Baukosten durch Inflation und Materialknappheit haben dazu beigetragen.
Kritiker fragen sich, ob es angesichts der massiven Kostensteigerungen nicht sinnvoller gewesen wäre, das Projekt neu zu bewerten oder gar zu stoppen. Doch politischer Wille und bereits investierte Summen haben das Bauvorhaben längst zu einem Punkt ohne Umkehr gemacht.
3. Vernachlässigung des Klimawandels und ignorierte Warnungen
Ein Prestigeprojekt ohne ökologische Weitsicht
Die CO₂-Bilanz eines solchen Mammutprojekts ist erschreckend. Bereits die Produktion der für den Tunnelbau benötigten Baustoffe wie Beton und Stahl verursacht gewaltige Emissionen. Hinzu kommt der hohe Energieaufwand für den Aushub, den Transport der Materialien und den Betrieb der Baugeräte.
Berechnungen zeigen, dass der Fehmarn-Belt-Tunnel allein für den Bau etwa 10,8 Millionen Tonnen CO₂ ausstoßen wird. Die zusätzliche Infrastruktur, die auf deutscher Seite geschaffen werden muss, erhöht diese Bilanz um weitere 3–4 Millionen Tonnen CO₂, sodass insgesamt rund 14 bis 15 Millionen Tonnen CO₂ für das gesamte Projekt anfallen.
Vergleichbare Infrastrukturprojekte haben gezeigt, dass es bis zu 50 Jahre dauern könnte, bis die durch den Bau verursachten Emissionen durch Verkehrseinsparungen ausgeglichen werden. Angesichts der aktuellen Dringlichkeit der Klimakrise erscheint dies als eine untragbare Investition in die Vergangenheit statt in die Zukunft.
4. Bürgerbewegung „Blaues Kreuz“: Die Stimme der Inselbewohner
Ein Kampf gegen Windmühlen?
Die Bürgerinitiative „Blaues Kreuz“ formierte sich früh gegen die Fehmarn-Beltquerung. Die Mitglieder warnten vor Umweltzerstörung, wirtschaftlicher Fehlplanung und einer Missachtung der Interessen der Anwohner. Tausende Einsprüche wurden eingereicht, zahlreiche Studien zur ökologischen Unverträglichkeit des Projekts vorgelegt.
Doch das Verwaltungsgericht in Leipzig wies den Großteil dieser Einwände innerhalb kürzester Zeit ab. Die Bewohner Fehmarns fühlten sich ignoriert, ihre Bedenken übergangen. Dieses Vorgehen hat das Vertrauen in demokratische Entscheidungsprozesse schwer erschüttert und das Gefühl gestärkt, dass wirtschaftliche Interessen über Bürgerrechte gestellt wurden.
5. Die CO₂-Bilanz – Ein Mahnmal für gescheiterte Klimapolitik
Der Tunnelbau und die damit verbundenen Infrastrukturmaßnahmen sind ein Paradebeispiel dafür, wie wenig Klimaschutz in großen Bauprojekten tatsächlich berücksichtigt wird. 15 Millionen Tonnen CO₂ – diese Zahl spricht für sich. Die Reduzierung von Fährverbindungen, die durch die neue Querung ersetzt werden sollen, kann diesen immensen CO₂-Ausstoß nicht einmal annähernd kompensieren.
Angesichts der Klimakrise stellt sich die Frage, ob der Tunnelbau überhaupt noch zeitgemäß ist. Statt Milliarden in ein klimaschädliches Prestigeprojekt zu stecken, wäre es sinnvoller gewesen, diese Mittel in klimafreundliche Verkehrsalternativen zu investieren – etwa den Ausbau der Schieneninfrastruktur, den Einsatz klimaneutraler Fährverbindungen oder Investitionen in emissionsfreie Transportlösungen.
6. Fazit: Ein Projekt der Rückständigkeit und des mangelnden Weitblicks
Die Fehmarn-Beltquerung sollte einst als Fortschritt gefeiert werden – heute steht sie symbolisch für eine veraltete Infrastrukturpolitik, die wirtschaftliche Interessen über ökologische und soziale Verantwortung stellt. Die immensen Kosten, die katastrophale CO₂-Bilanz und die Missachtung der Bürgerinteressen zeigen, dass dieses Projekt in einer Zeit, in der Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung oberste Priorität haben sollten, ein Relikt aus der Vergangenheit ist.
Das Mahnmal der Fehmarn-Beltquerung zeigt eindrücklich, was passiert, wenn wirtschaftliche Wachstumsideologien und politische Prestigeprojekte den Weg für klimaschädliche Fehlentscheidungen ebnen. Die Frage bleibt: Sind solche Großprojekte in Zeiten des Klimawandels noch tragbar? Oder ist es an der Zeit, Weitsicht, Nachhaltigkeit und ökologische Vernunft endlich über kurzfristige wirtschaftliche Interessen
Quellen:
Planung und bisheriger Ablauf der Fehmarnbelt-Querung
- Fehmarnbelt Fixed Link Company (2021): The Fehmarnbelt Tunnel: A Safe and Short Trip Across the Sea. Veröffentlichungen und Projektberichte der Fehmarnbelt Fixed Link Company, Abschnitt zur Projektbeschreibung und Zeitplan.
- Lindholm, H., & Hansen, R. (2020): The Environmental Impact of the Fehmarnbelt Tunnel. Scandinavian Journal of Environmental Impact Assessment, Vol. 15, Seiten 102–117. Diskutiert die Umweltbewertung und die Einflussanalyse auf marine Ökosysteme, einschließlich Auswirkungen auf geschützte Arten wie den Schweinswal.
- Bundesrechnungshof (2021): Bericht über die Investitionsausgaben und Kostenentwicklung der Fehmarnbelt-Querung. Seiten 25–34. Enthält aktuelle Informationen zur Finanzierung, den Baukosten und der Verteilung der Lasten zwischen Dänemark und Deutschland.
- Bröcker, J., & Korzhenevych, A. (2018): Cost-Benefit Analysis of the Fehmarnbelt Fixed Link. Journal of Infrastructure Policy and Management, Vol. 4, Seiten 213–224. Untersuchung zu Kosten und Nutzen sowie zur Reisezeitersparnis und ökonomischen Rechtfertigung des Projekts.
CO₂-Emissionen und Umweltbilanz
- Environmental Research of Denmark (ERD) (2021): Estimating CO₂ Emissions for Large Infrastructure Projects. ERD WorKing Paper, Kapitel 3, Seiten 56–65. Schätzt durchschnittliche Emissionen für große Infrastrukturprojekte, einschließlich zusätzlicher Emissionen durch Bauverzögerungen.
- EEA (European Environment Agency) (2019): Impact of Transportation Projects on Marine Life and Coastal Ecosystems. Technical Report No. 74/2019, Seiten 150–162. Enthält Informationen zu den ökologischen Auswirkungen von Großprojekten auf das maritime Ökosystem und die notwendige Renaturierung nach Bauarbeiten.
- BUND Naturschutz (2020): Gutachten zu den ökologischen Risiken der Fehmarnbelt-Querung. Abschnitte über potenziellen Biodiversitätsverlust und die Gefährdung von Riffen und Meeressäugern.
Alternative Verkehrs- und Mobilitätskonzepte
- Scandlines (2018): Towards Emission-Free Ferry Services on the Fehmarnbelt. Unternehmensbericht und Umweltziele, Kapitel 4, Seiten 48–55. Diskussion über alternative emissionsarme Fähren und die Erweiterung des umweltfreundlichen Fährbetriebs als mögliche Alternative zum Tunnelprojekt.
- Ewing, R. & Cervero, R. (2017): Travel and the Built Environment: A Meta-Analysis of Alternative Transport Options. Transportation Research Record, Vol. 5, Seiten 120–135. Vergleicht CO₂-Effekte von Fährdiensten gegenüber Tunnelprojekten und analysiert, wie alternative Mobilitätslösungen für Regionen mit hohen touristischen und ökologischen Anforderungen nachhaltig gestaltet werden können.
Weitere kritische Analysen und wirtschaftliche Bewertungen
- BMVI (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur) (2020): Verkehr und Mobilität in der Fehmarnbelt-Region: Zwischen Infrastruktur und Klimaschutz. Technischer Bericht, Kapitel 7, Seiten 98–110. Enthält Schätzungen zu den Auswirkungen auf den Tourismus und die wirtschaftlichen Auswirkungen für die Region.
- Germanwatch (2019): Infrastruktur-Expansion vs. Klimaschutz: Die Fehmarnbelt-Querung im Kontext der nationalen Klimaziele. Hintergrundpapier, Seiten 45–53. Analyse der Diskrepanz zwischen Infrastrukturprojekten und deutschen Klimazielen.
Klimaschutz und die Bedeutung entschleunigter Infrastruktur
- Geels, F. W. (2018): Sociotechnical Transitions and the Fehmarnbelt Project: Understanding the Dynamics of Infrastructure Growth and Environmental Concerns. Energy Policy, Vol. 118, Seiten 99–112. Untersuchung zu Möglichkeiten, Infrastrukturprojekte mit Klimaschutz zu verbinden und die Bedeutung entschleunigter Projektpläne für nachhaltige Infrastrukturprojekte.
- Rockström, Johan et al. (2018): Planetary Boundaries: Guiding Human Development on a Changing Planet. Science, Vol. 347, Issue 6223, Seiten 1259855–1259865. Behandelt die Notwendigkeit der Begrenzung umweltbelastender Projekte zur Einhaltung der planetaren Grenzen.

c/o Dr. Peter Liffler